Einordnungen
Die politische Einordnungen sind wichtige, aber extrem schwer festlegbare Begriffe. Wir haben anhand von Selbstbeschreibungen von Initiativen und diverser Internetquellen versucht, selbst Kriterien festzulegen. Diese sind weit von perfekt und eher als Handreichung für die Einordnung, statt als objektive Labels zu verstehen.
Eine weitere Schwierigkeit, die sich auch mit einem objektiven Label nicht einfangen lässt, ist die Schere zwischen Absicht und Realität der Unterstützungspraxis. Wir wollen Initiativen, die eine unabhängige, kritische Praxis anstreben, aber die (momentan) in Realität an unsere Kriterien scheitern, ihre politische Einstellung nicht absprechen. Manchmal müssen Kompromisse eingegangen werden – z.B. in der Finanzierung - , um langfristig ein stabiles unabhängiges Angebot aufbauen zu können. Dieser Faktor ist und bleibt wohl Selbsteinschätzung der Initiativen.
Machtkritisch
Denkt das Angebot strukturelle Herrschaftsverhältnisse in ihrem Themengebiet mit und positioniert sich gegen diese Verhältnisse? Reflektiert die Initiative intern die eigene Reproduktion davon?
Kontext
- Macht ist ein sehr weiter Begriff. Im Kontext von Angeboten gegenseitiger Hilfe besteht das Machtgefälle vor allem darin, das die anbietende Person etwas hat, was die hilfesuchende Person braucht. Dieses Gefälle kann sich mit strukturellen Herrschaftsverhältnissen überlagern.
Kriterien
- Werden in der Arbeit/ im Angebot strukturelle Herrschaftsverhältnisse angesprochen (z.B. weiß, europäisch/deutscher Pass, männlich, Bildungshintergrund, gutes Einkommen und finanzielle Rücklagen, abled)?
- Werden diese bei den Berater*innen/Anbieter*innen thematisiert und transparent gemacht?
- auscht sich die Gruppe intern über ihre Machtverhältnissen aus, reflektiert sie diese und bildet sich zu einem kritischen Umgang?
- erden Maßnahmen ergriffen, um diese Machtverhältnisse (etwas) zu entschärfen? (Z.B. Spendenbasis, Zugang ohne Papiere, Angebot durch Betroffene derselben Machtverhältnisses, Infrastruktur die Zugänge erleichtert).
Basisdemokratisch
Ist die Initiative basisdemokratisch organisiert? Können Mitarbeitende ihre Bedenken und Kritik einbringen und haben sie Einfluss auf das Angebot? Wird Kritik (auch von Unterstützungssuchenden) ernst genommen?
Kontext
- Basisdemokratische Strukturen sind besser in der Lage, sich den realen Bedürfnissen und Verhältnissen anzupassen. So können z.B. machtkritische Ansätze oder Forderungen nach einer Unabhängigkeit des Angebotes besser durchgesetzt werden. Außerdem spiegelt die Basisdemokratie eine Arbeitsweise, die auf eine kommende Gesellschaft vorgreift und sie bereit jetzt einübt.
Kriterien
- "Die Initiative/ Organisation ist basisdemokratisch organisiert. Jedes Mitglied verfügt über die gleichen Rechte und Einflussmöglichkeiten in Angelegenheiten, die alle betreffen. Eine Einschränkung ist nur für befristete oder in Probezeit befindlichen Belegschaftsmitgliedern hinsichtlich von Entscheidungen, die über den eigenen Verbleib im Betrieb hinausreichen, möglich. Es gibt Offenheit bzgl. der Ausgestaltung der Mitbestimmung, z.B. mit oder ohne Konsens & mit oder ohne Vetorecht. Ebenso ist es offen, ob alle immer alles mitentscheiden müssen oder nur für ihren Bereich verantwortlich sind etc.."(Label Union Coop, angepasst für Initiativen)
- Kritik und Anregungen von Nutzer*innen / Unterstützungssuchenden werden ernst genommen.
Finanziell unabhängig
Ist die Initiative finanziell unabhängig (z.B. durch freiwillige Spenden, freiwillige Arbeit oder selbstorganisierte Finanzierung (Soliparties, Crowdfunding) oder ist ihre Finanzierung durch den Staat, Stiftungen oder andere externe Geldgeber:innen an bestimmten Bedingungen gekoppelt?
Kontext
- Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet oft reale Unabhängigkeit und vice versa. Je nach Angebotstyp ist völlige finanzielle Unabhängigkeit wohl unmöglich, da mensch auch bei selbstorganisierter Finanzierung auf z.B Spenden angewiesen ist. Problematisch wird die Abhängigkeit, wenn die Praxis des Angebotes oder die anderen politischen Einordnungen durch den*die Geldgeber*in eingeschränkt werden.
Kriterien
- Wer gibt das Geld. Geht es um eine direkte staatliche oder kommerzielle Förderung, oder steckt eine Stiftung dahinter (Ausrichtung der Stiftung)? (Als nicht-unabhängig werden in dem EU-Papier genannt: Staat und seine Behörden, politische Parteien, kirchliche Institutionen, Gewerkschaften & Arbeitgeberverbände).
- Welche Stiftung finanziert? Was ist die Ausrichtung und Motivation dieser Stiftung?
- Wie viel des Budgets der Initiative wird durch Fördergeld gedeckt? (Die Initiative Transparente Zivilgesellschaft legt eine Schwelle bei 10% der Gesamteinnahmen.)
- Gibt es eine bewusste Auswahl der Förderquelle, um möglichst große Unabhängigkeit zu behalten? (Die KuB kommuniziert, dass: „Wir sind unabhängig. Um die Arbeit in der KuB machen zu können, sind wir oft auf finanzierende Institutionen/Geldgeber_innen angewiesen. Wir lassen uns nicht auf Förderbedingungen ein, die unserer Grundhaltung widersprechen und wollen Kritik öffentlich äußern und nicht aus Angst vor (potenziellen) Geldgeber_innen verschweigen.“.
Selbstorganisiert
Ist die Initiative von staatlichen Strukturen unabhängig? Oder ist sie im staatlichen Rahmen organisiert bzw. erfüllt sie einen vorgesehenen staatlichen Auftrag?
Kontext
- Selbstorganisierung ist das Kernstück von politischer Unabhängigkeit und zeigt für uns am ehesten auf eine andere Gesellschaft, in der bestimmte strukturelle Probleme überwunden sind. Wir gehen davon aus, dass die Institutionen, die diese Probleme mit verursachen, langfristig nicht zur Überwindung dieser Probleme führen können – und stellen uns damit kritisch gegen z.B. das Sozialstaatprinzip, Klientelpolitik und Charity.
Kriterien
- NICHT selbstorganisiert sind: Organisationen des Staates oder sonstige (Landes-, Bezirks-)Regierungen, Organisationen der Kirche, die staatlichen oder kirchlichen Hilfsorganisationen (Rotes Kreuz, Malteser, THW), Parteien und deren Unterorganisationen, (etablierte) Gewerkschaften und Angebote von kommerziellen Firmen.
- Wer hat die Organisation gegründet? Ist sie in 'freier Assoziation' entstanden oder hat eine der oben genannten Akteure dazu Anlass gegeben?
- Ab einer bestimmten Größe und einem bestimmten Maß an Verstrickungen mit staatlichen oder marktwirtschaftlichen Akteuren, würden wir nicht mehr von Selbstorganisation sprechen. Typische Formen der Selbstorganisation sind für uns lokale, unabhängige und kritische Strukturen. NGOs und größere, etablierte politische Organisationen bilden einen Zweifelfall. Das Entscheidungskriterium ist jedoch hauptsächlich ihre Glaubwürdigkeit (wie sehr sind sie tatsächlich kritisch und stellen sie sich praktisch gegen Institutionen von Markt, Kirche und Staat), und kann daher schlecht ‚objektiv‘ festgelegt werden.
Überschneidung mit den anderen 'Einordnungen'
- Selbstorganisierte Gruppen sind eher machtkritisch und basisdemokratisch eingestellt und streben wahrscheinlich eine möglichst große finanzielle Unabhängigkeit an.